Liebe HSV-Arenisten, ich hatte es vor einiger Zeit angekündigt, nun ist es gelungen, ich habe vor einigen Tagen ein Gespräch via „Team“ mit dem ausgeschiedenen Finanzvorstand und Anteilseigner Thomas Wüstefeld führen können, an dieser Stelle herzlichen Dank für die Bereitschaft. Zur Erklärung: Dieses Interview wurde bereits im Februar geführt, wurde aber auf Wunsch von Herrn Wüstefeld nicht vor Ende der Saison veröffentlicht, weil er nicht wollte, dass seine Aussagen als Entschuldigung für das Nichterreichen der Saisonziele herhalten könnten. 

HSV-Arena: Wie groß ist die persönliche Erleichterung nach ihrem „freiwilligen“ Rücktritt als pro bono-Finanzvorstand des HSV?

Thomas Wüstefeld: Von Erleichterung kann eigentlich nicht die Rede sein, ich habe den Job ja gern gemacht, auch weil ich denke, dass es notwendig war. Aber natürlich hat es besonders zum Ende keinen großen Spaß mehr gemacht. 

HSV-Arena: Was genau haben sie hinsichtlich der Finanzen des HSV vorgefunden? Sie sprachen von einer überaus ernsten Situation oder anders ausgedrückt, von einem Einkaufswagen voller Probleme.

T.W.: Vor allem habe ich einen Verein ohne Konzept vorgefunden, ohne klaren Plan für die Zukunft. Ich habe gefragt: Wie sieht der Verein aus, wenn er in der zweiten Liga bleibt? Wie in der Bundesliga? Wo sind die Pläne, die Konzepte für die jeweilige Situation? Es gab bzw. gibt keine, man lebt rein situativ und reagiert auf neue Situationen, aber man agiert nicht proaktiv. Ich habe Jonas Boldt mal gefragt, wie denn der Plan für die nächste Saison, abhängig von der Liga aussieht, als Antwort erhielt ich: Wir brauchen einen Backup für Glatzel und einen Außenverteidiger. Das war’s. Das war das Konzept bzw. die Planung. 

HSV-Arena: Der HSV kassierte für den Verkauf des Stadiongeländes und durch staatliche Corona-Hilfen ca. € 37,5 Mio. Ist ihnen aus heutiger Sicht bekannt, wofür genau diese Summe tatsächlich verwendet wurde?

T.W.: Für operative Ausgaben. Gehälter, Beraterhonorare, Abfindungen, Transfers. Für die Stadionsanierung, von der jeder wußte, dass sie kommen würde, war kein Cent mehr übrig.

HSV-Arena: Sie haben gesagt, dass sie zahlreiche Dienstleisterverträge aufgekündigt hatten und dadurch dem Verein viel Geld gespart hätten. 

T.W.: Das war in der Tat eine der ersten, weil dringensten Amtshandlungen. Der HSV hatte für beinahe jeden Teilbereich Berater und Dienstleister, von denen ich die meisten fristlos bzw. fristgerecht gekündigt habe. Auf diese Weise habe ich dem Verein zwei Millionen Euro eingespart, sodass Herr Dr. Huwer auf der Mitgliederversammlung ein Plus von einer Million verkünden konnte. Ohne die Einsparungen hätte der Verein das nächste Minus melden müssen. 

HSV-Arena: Wie sehen sie die Chance des HSV, angesichts der aktuellen Strukturen und der finanziellen Situation in absehbarer Zeit in solides Fahrwasser zu manövrieren?

T.W.: Wenn man an den Strukturen nichts ändern, ist man auf Sicht chancenlos. Meiner Meinung nach, nachdem ich mir die Zahlen angeschaut habe, müsste man die Mitarbeiteranzahl mindestens halbieren, um irgendwann auf einem grünen Zweig zu landen. Aber mit diesem Thema will sich niemand beschäftigen und als ich mich dieses Themas angenommen habe, wurde ich hängenlassen und die Kampagne nahm Fahrt auf.

HSV-Arena: War besonders das Hamburger Abendblatt aus ihrer Sicht fremdgesteuert und wenn ja, durch wen?

T.W.: Natürlich war und es ist das. Und von wem? Nun, wenn die Zeitung Informationen aus Aufsichtsratssitzungen und aus Vorstandsgesprächen bekommt und es nur zwei Vorstände gibt, ist es nicht schwer zu erraten, wer die Information übermittelt. Und ich war es nicht. 

HSV-Arena: Herr Boldt sprach neulich in einem Podcast davon, dass man ihn „belogen und hintergangen“ hätte. Ihr Meinung dazu.

T.W. (lacht): Dass ausgerechnet Herr Boldt von belogen und hintergangen spricht, entbehrt nicht einer gewissen Komik. Schauen sie sich den Fall Mutzel an. Michael Mutzels einzige Verfehlung war, dass er nach zwei Auswärtsspielen mit mir im privaten PKW zurückgefahren ist. Außerdem hatte er eine eigene Meinung und hat weder vor Herrn Boldt noch vor Herrn Walter einen Handstand gemacht. Aus meiner Sicht hat Mutzel einen guten Job gemacht, aber für Herrn Boldt war dies Grund genug, ihm Illoyalität zu unterstellen, ihn öffentlich zu diskreditieren und ihn zu entlassen. Das hat den Verein eine Menge Geld gekostet.

HSV-Arena: Jonas Boldt war ja vor seiner Vertragsverlängerung bei mehreren anderen Vereinen im Gespräch…

T.W.: Und nichts davon entspricht der Realität, reinste Erfindung. Ich habe ihn mal in einer Vorstandssitzung gefragt: „Jonas, wenn du Angebote aus Rom oder Stuttgart hast, warum machst du das dann nicht? Warum tust du dir die zweite Liga an?“ Eine Antwort habe ich nicht bekommen. 

HSV-Arena: Sie sprechen von fehlenden Konzepten….

T.W.: Ja, und das zieht sich durch den gesamten Verein. Beispiel Nachwuchsleistungszentrum, dieses kostet den HSV jedes Jahr, auch in der zweiten Liga, € 10,6 Mio. Aber es kommt nichts dabei raus, Bernd Hoffmanns Aussage bzgl. Geldverbrennungsmaschine trifft zu 100% zu. Und wenn dann doch mal ein Spieler aus dem Campus hervorgeht wie Alidou, dann stellt man ihn ins Schaufenster, verpennt aber eine Verlängerung des Vertrags. Das Problem ist – auch im Campus hat man kein Konzept, man wurstelt einfach mal so vor sich hin und guckt, was passiert. Das kann so nicht funktionieren. Ich habe es angesprochen, bin aber auf taube Ohren gestoßen, wie so oft.

HSV-Arena: Ist ihrer Meinung nach das Fehlen eines Vorstandsvorsitzenden ein elementares Problem des HSV?

T.W.: Nicht unbedingt, aber die Zuständigkeiten und die Strukturen müssen klar geregelt sein. Ich beispielsweise habe dafür plädiert, den sportlich Verantwortlichen nicht im Vorstand anzusiedeln, dort hat er eigentlich nichts verloren, zumindest aus meiner Sicht. Heute ist der Sportvorstand der tatsächlich mächtigste Mann in der AG. 

HSV-Arena: Mit dem Wissen von heute – hätten sie lieber auf ein Engagement beim HSV, sowohl Kauf der AG-Anteile wie auch Rolle des Finanzvorstandes, verzichten sollen?

T.W.: Eigentlich nicht, aber ich würde es heute anders machen. Ich würde klare Zuständigkeiten, klare Strukturen und klare Abgrenzung einfordern, das habe ich damals nicht gemacht. Ich bin ins kalte Wasser gesprungen, weil ich nicht wusste, was mich erwartet. Heute weiß ich es. 

HSV-Arena: Sie haben einige dringend notwendige Schritte zur Vereinssanierung (Mitarbeiter, Dienstleister etc.) angestoßen und sich damit garantiert unbeliebt gemacht, deshalb hat vor ihnen auch niemand diese Themen angefasst. War vor ihrer Ernennung zum Finanzvorstand dies Teil ihre „Aufgabe“ und wurde sie ihnen vom Aufsichtsrat in Auftrag gegeben oder war dies ausschließlich auf Eigeninitiative zurückzuführen? 

T.W.: Um es einmal ganz deutlich zu sagen – ich habe den Job (Finanzvorstand) mit einem klaren Auftrag des gesamten Aufsichtsrats übernommen. Mein Auftrag war es, die Strukturen und besonders die Finanzen zu durchleuchten und, wenn nötig, Veränderungen vorzunehmen. Das habe ich getan. Als es aber an unangenehme Dinge wie Mitarbeiter-Kündigungen etc. ging, wollten Teile des Aufsichtsrats damit nicht in Verbindung gebracht werden und sind, auch öffentlich, von mir abgerückt. Man hat mich schlichtweg hängenlassen, dabei sollte ich die Drecksarbeit machen, die vor mir keiner machen wollte. 

HSV-Arena: Sie waren nach ihrem Ausscheiden aus dem Vorstand eine zeitlang abgetaucht und haben sich auch auf die Vorwürfe, besonders vom Abendblatt und von Herrn Boldt, nicht öffentlich geäußert. Wie schwer ist es eigentlich, die ganze Zeit zu schweigen, wenn man um die internen Gegebenheiten des HSV weiß?

T.W.: Ich habe seit meinem Ausscheiden aus dem Vorstand zwei neue Schreibtische bekommen, die davor hatte ich durchgebissen. Natürlich fällt es extrem schwer, auf diese Dinge nicht zu reagieren, aber mir war es wichtiger, erstmal meine eigenen Dinge wie die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft, die sich mittlerweile geklärt haben, aus der Welt zu schaffen. Und nach Rücksprache mit meinen Medienleuten habe ich dann lieber geschwiegen.