Da saßen sie also nun zu Dritt oben auf der Bühne im Presseraum. Till „Ich-habe-Angst-vor-meinem-eigenen-Schatten“ Müller begrüßt mit dem gewohnt albernen „Hallo, liebe Schornalisten“, Hannes Wolf grinste, als freue er sich auf den Kindergeburtstag seines Adoptiv-Sohnes und Ralf Becker, der leicht genervt wirkte, als würde er einen außerordentlich wichtigen Termin beim Friseur seine Vertrauens verpassen. Keine Spur von Niedergeschlagenheit ob des verpassten und für den Verein (laut Aussage Becker) überlebenswichtigen Wiederaufstiegs, eher locker gelöste Freitag-Nachmittagsstimmung. Ich dachte, ich bin im falschen Film.

Vielleicht bin ich ja überempfindlich, weil es um die Zukunft und das Überleben des Vereins geht, aber ein wenig mehr Demut und innere Einkehr wegen der sportlichen Katastrophe (immerhin  verspielte man in nur einer Rückrunde 16 Punkte gegenüber einem Verein wie dem SC Paderborn) hätte ich mir schon gewünscht. Stattdessen präsentierte man sich mit der Attitüde eines Kaffeekränzchens oder einer flotten Männerrunde unmittelbar vor dem Wochenende-Angelausflug.  Fehlte eigentlich nur noch, dass sich die Herren wegen des erreichten 4. Platzes öffentlich zugeprostet hätten. Überhaupt ist eigentlich alles chico. Man ist sich nicht böse und geht als dicke Freunde auseinander, Becker redet wie immer wirres Zeug und die Laune von Noch-Trainer Hannes Wolf wurde von Minute zu Minute besser, der Mann strahlte mehr als am Tat seiner Präsentation.

Nun habe ich per se nichts gegen gute Laune, aber das hier passte einfach nicht zur Situation. Wenn ich mit einem, für die zweite Liga, Rekordetat, mit zahlreichen Nationalspielern und diversen Einkommens-Millionären in eine Saison gehe und aus 16 Spielen der Rückrunde 16 von 48 möglichen Punkte holen, habe ich offenkundig unendlich viel falsch gemacht. Dann kann ich mich da nicht hinsetzen und grinsen und scherzen, wenn ich weiß, dass mein Versagen möglicherweise einige Mitarbeiter auf der Geschäftsstelle ihre Jobs kosten wird. Aber – wie die Herren oben auf der Tribüne so die Herren unten auf den billigen Plätzen. Mir wären spontan ein paar freundliche Fragen eingefallen…

„Herr Wolf, sie wirken ausgesprochen gelöst und cool drauf. Angesichts einer Entlassung vom Amt des Cheftrainers ein wenig irritierend für mich. Kann es sein, dass ihnen der Rausschmiss wie eine Erlösung vorkommt?“

„Herr Becker, sie sind für die Zusammenstellung eines Rekord-Kaders verantwortlich und sind beim erklärten Ziel, dem direkten Wiederaufstieg krachend gescheitert. Haben sie in Erwägung gezogen, möglicherweise persönliche Konsequenzen zu ziehen?“

„Herr Becker, sie haben selbst gesagt, dass sie für im Hinblick auf die nächste Saison auf dem Transfermarkt Gelder generieren müssen, die nicht in den Kader fließen werden. Jetzt haben wir noch nicht mal das Ende der Desaster-Saison erreicht und es ist noch nicht mal im Ansatz ein Kader für die nächste Spielzeit erkennbar. Nun erklären sie, dass man in Hamburg nicht erklären könnte, dass man möglicherweise nicht um den Aufstieg spielen würde. 2. Fragen:

1. Warum jetzt schon wieder solche offensiven Ansagen, an denen man vom ersten Spieltag an gemessen wird?

2. Wie kommen sie auf die Annahmen, man könnte den Anhängern und Fans nicht einfach mal die Wahrheit sagen?

Aber solche Fragen kommen nicht. Stattdessen tut man so, als würde man sich nach einem 1:0 Sieg in Sandhausen auf das Heimspiel am 15. Spieltag gegen Osnabrück vorbereiten, ich habe den Eindruck, als nehmen die das alles nicht wirklich ernst. Sorry, aber mir fehlen die Worte.

Wolf: „Wie schwierig seine Mission war, sei ihm dabei immer klar gewesen: „Du hast wenig Geld und eine ganz neue Mannschaft, sollst aber aufsteigen. Aber so tickt der HSV nun einmal.“

Becker: „Das ist ganz klar der Auftrag. Ich kann nicht hier sitzen und Platz fünf als Ziel ausgeben.“

Verdammt nochmal, das ist doch Bullshit. Wer behauptet denn sowas? Welcher Fan würde einen ehrlichen Weg denn nicht mitgehen, wenn man ihm den Weg erklären würde? Ich kann diese Scheiße nicht mehr hören, denn aus genau diesem Grund hat ein Beiersdorfer mit Unterstützung der Brechstange versucht, 5 Schritte auf einmal zu machen, anstatt den Weg von HSVplus zu gehen. Warum haben die Mitglieder denn damals für HSVPlus gestimmt? Weil sie schnellen Erfolg wollten? Ich habe das Gefühl, das nicht ein leitender Angestellter diesen Verein überhaupt kennt.

Ach ja, noch was.

Man wird ja beim HSV nicht müde, bei jeder Gelegenheit davon zu schwärmen, dass man überirdisch geile Fans hätte und überhaupt. Da stellt sich doch die Frage, warum man Spieler, die 5 Jahre beim HSV unter Vertrag standen, lediglich in den Katakomben und nicht auf dem Rasen nach dem Spiel verabschiedet? Traut man den Super-Fans etwa nicht über den Weg?

Ich werde mir den Spuk auf jeden Fall live vor Ort angucken.

Zitat: „So tickt der HSV“.

Ich bin zu 100% sicher, dass weder ein Trainer, der seit Oktober im Amt ist, noch ein Sportchef, der seit noch nicht mal einem Jahr im Amt ist, auch nur im Ansatz weiß, wie dieser Verein tickt. Zu meinen, diesen Verein verstanden zu haben, ist unendlich anmaßend.