Ich habe es ja schon mehrfach geschrieben, ich bin tatsächlich dankbar für die Gnade der frühen Geburt. Als in Hamburg geborenes Kind kannte ich noch echte Winter und warme Sommer., aber ich kannte keine Sommer mit mehr als 40 Grad. Auf der Straße, in der ich aufwuchs, sind wir tatsächlich einmal Schlittschuh gelaufen, so kalt war es und ich habe einige Alstervergnügen erleben dürfen. Im Sommer sind wir in den Ferien (und nicht nur dann) so gut wie jeden Tag mit dem Rad ins Naturfreibad Buchenkamp gefahren, das waren bestimmt 7 km, eine Strecke. Man kann heute ja mal einem 13-Jährigen erklären, dass er 14 km mit dem Rad fahren soll, um schwimmen zu gehen. Ohne Navi. Ohne Airpods. Ohne E-Bike. Eincremen kannten wir eigentlich auch nicht, schließlich lebten wir in Norddeutschland und nicht in Spanien. Wenn wir Hunger hatten, haben wir uns für ein paar Pfennige (richtig, es gab keinen Euro) tatsächlich ein Negerkussbrötchen gekauft und zuhause gab es tatsächlich ab und zu Zigeunerschnitzel. Wenn man das heute laut denkt, wird man am nächsten Baum aufgehängt. Heute wird um die Wette gegendert, jeder ist wahlweise ein Youtuber, Influencer oder Tiktoker und wenn man sagt, dass jemand dick ist, ist es „Bodyshaming“, selbst dann, wenn derjenige wirklich dick ist. 

Ich weiß, dass ich mich anhöre wie der alte weiße Mann, der ich ja auch bin, aber ich habe nicht das Gefühl, dass der Großteil der Bevölkerung mit all dem glücklicher ist als wir es damals waren. Heute ist gleichzeitig alles erlaubt und alles verboten, heute ist jeder Richter und Henker in einer Person. Die sogenannten „Sozialen Medien“ haben ebenso wie das Internet das Leben vielleicht in Teilen bequemer und vor allem schneller gemacht, besser gemacht haben sie es nicht. Mein Gefühl sagt mir, dass unabhängig vom nicht zu leugnenden Klimawandel, von der Serien von Kriegen und Naturkatastrophen, gekrönt von der ersten ernstzunehmenden weltweiten Pandamie, diese Zeit nicht das Beste, sondern das Schlechteste bei vielen Menschen zum Vorschein bringt und weiterhin bringen wird. Natürlich wollten die Menschen früher auch gut leben und Geld verdienen, die heutige Rücksichtslosigkeit und flächendeckende Selbstoptimierung gab es in der jetzigen Ausprägung nicht, jedenfalls war sie mir nicht in dem Maße bewusst. Mein Gefühl ist, dass man heute eigentlich nichts mehr wirklich können muss, man muss nur das Maul am Weitesten aufreißen und sich so rücksichtlos wie möglich durchs Leben rasieren, dann ist vieles von dem möglich, was früher nicht möglich war. 

Die Überschrift lautet: Ist das noch gesund? und ich bin sicher, dass es das nicht ist. Aber es ist nicht mehr rückgängig zu machen, man wird Facebook, Instagram und Twitter genauso wenig abschalten und abschaffen können, wie man die Einstellung vieler Menschen zu ihren Mitmenschen ändern kann, einfach deshalb, weil viele damit aufgewachsen sind. Ihr in Deutschland (das schreibe ich, weil ich nicht mehr dort lebe), wisst doch gar nicht mehr, was Verzicht bedeutet. Alles ist immer im Überfluss verfügbar, einen Mangel gibt es nicht. Jetzt plötzlich kommt erst Corona und dann die Ukraine und plötzlich merken viele Menschen, dass dieser Zustand, den sie seit ihre Geburt kannten, eben keine Selbstverständlichkeit ist. Der Herbst kommt, es wird kälter und in vielen Wohnungen wird es kalt bleiben. Wie werden die Menschen damit umgehen? Werden sie zugunsten anderer verzichten oder werden sie noch rücksichtsloser durchs Leben rasen? Wenn ich ehrlich bin, habe ich kein gutes Gefühl, was die Zukunft Deutschlands und Europas betrifft, denn Krisen befördern zumeist Extremismus, Sorgen und Ängste spielen gesellschaftlichen Spaltern in die Karten. 

Vielleicht hört es sich blöd an, aber ich bin zum ersten Mal in meinem Leben froh, nicht mehr 25 zu sein.